In höchsten Tönen
In Tokio messen sich die besten Pfeifer der Welt. Klingt lustig – ist aber eine sehr ernste Angelegenheit.
Dass er mit seinem Papageienkostüm eventuell falsch gekleidet sein könnte, kam Hidenobu Nishiyama nicht in den Sinn. Als der japanische Hobbymusiker die Mehrzweckhalle im Süden Tokios betritt, um mit der Startnummer 15 beim großen Wettkampf anzutreten, trägt er einen grünen Plüsch-Hut mit Schnabel und eine passende Glitzerweste. Mit Blick auf die anderen Kandidaten sagt er: »Ich bin der Einzige, der sich verkleidet hat. Warum ist hier alles so ernst?«
Ein Samstag im Juli, in Tokio findet an diesem Wochenende die Weltmeisterschaft im Kunstpfeifen statt. Es ist so heiß, dass das Mineralwasser in der Austragungshalle am Stadtrand bereits am Nachmittag ausverkauft ist. Bei der »World Whistlers Convention« treten 49 Kandidatinnen und Kandidaten aus sechs Ländern gegeneinander an, um vor Publikum und einer Jury auszupfeifen, wer am schnellsten und präzisesten mit nichts als den Lippen musizieren kann.
Es gibt verschiedene Disziplinen: Pfeifen zu einem Lied auf CD, zur Begleitung auf einem Instrument, als Gruppe, für Junioren und für Senioren. Eigentlich sollten es fünfzig Teilnehmer sein, doch ein Spanier hat abgesagt: Er hat keinen Sponsor gefunden, der ihm die Reise nach Japan bezahlt. So ist kein Europäer dabei, nur drei Amerikaner, ein Pfeifer aus Venezuela, eine Australierin, der Rest kommt aus Japan, Indien und Korea.
Nishiyama, der Papageienmann, ist 41 Jahre alt, hat einen Bauchansatz und trägt eine randlose Brille, für seinen Auftritt als Weltklassepfeifer hat er hart trainiert, oft mehrere Stunden am Tag: schnelle Tonleitern, richtiges Atmen – aber er hielt die Weltmeisterschaft im Kunstpfeifen auch für eine lustige Sache. Darum das Kostüm.
Die Bühnengarderobe der anderen: Smoking, Anzug, die Frauen im Abendkleid mit passendem Hut. Pfeifen vor Publikum, so wird bei der dreitägigen Meisterschaft klar, ist eine ernste Angelegenheit. Hochleistungssport der Lippen- und Backenmuskulatur. Maximale Konzentration bei einer Tätigkeit, die eigentlich für Ausgelassenheit steht: das Pfeifen einer Melodie.
»Ich will unbedingt gewinnen«, sagt Nishiyama, der Papageienmann, »ich möchte vom Pfeifen leben können.«
Es ist nicht lange her, da waren Kunstpfeifer angesehene Musiker. Noch in den 1950er-Jahren waren sie Bestandteil von Big Bands. Der Österreicher Rudolf Schmid, der sich nach einer Geschlechtsangleichung Jeanette Baroness Lips von Lipstrill nannte, trat mit Frank Sinatra und Marlene Dietrich auf, pfiff vor begeistertem Publikum in New York und Mailand. Als von Lipstrill im Jahr 2005 im Alter von achtzig Jahren starb, nannte sie der ORF ein »selbstironisches, bizarres Theatermonster erster Klasse«. Im gleichen Jahr starb Ilse Werner, die wohl bekannteste deutsche Pfeiferin. Wer wollte, konnte sie sogar auf einer Platte der Punkrockband Die Ärzte hören.
Heute verdienen nur noch wenige Menschen mit Pfeifen ihr Geld. Einer von ihnen steht im Foyer der Austragungshalle in Japan und posiert für Selfies: Der Holländer Geert Chatrou, ein Lockenkopf, der meist grinst und mit seinen 1,90 Metern alle anderen Teilnehmer überragt. Er gilt als einer der besten Pfeifer der Welt, seine Fans umringen ihn. »Wir alle hier haben eine liebenswerte Macke«, sagt er, »wir pfeifen den ganzen Tag vor uns hin.« Er hat schon als Kind stundenlang im Auto gepfiffen, sein Vater hat bei langen Fahrten immer Bach und Vivaldi gehört und mitgeträllert. »Ich dachte jahrelang, dass Pfeifen eine normale Form der Kommunikation in meiner Familie sei«, sagt Chatrou.
Er war vor zwölf Jahren als Außenseiter zur Pfeif-WM in die USA gereist, es war sein erster Wettkampf überhaupt. »Meine Schwägerin hatte mich zum Spaß angemeldet«, sagt er. Im Finale hatte er die amerikanische Nationalhymne gepfiffen, das Publikum hatte sich erhoben, manche mit Tränen in den Augen. Der Holländer wurde Weltmeister.
Es gibt Videoaufnahmen von damals, sein Auftritt hat eine besondere Magie. Chatrou pfeift eine improvisierte Version des Star Spangled Banner, nähert sich den Tönen mit einer besonderen Technik an, dem sogenannten Warbling, eine schnelle Modulation zwischen zwei Tönen, die so wohlig schwingen, als stammten sie von einem Singvogel. Zwei Mal hat Geert Chatrou seinen Titel verteidigt, er hat Platten veröffentlicht, nun ist er zum ersten Mal in der Jury.
Kurz bevor die ersten Kandidaten auf die Bühne dürfen, zieht sich die Jury zurück, um noch mal die Kriterien zu besprechen, nach denen die Punkte vergeben werden. Jeder Teilnehmer im Hauptwettbewerb darf zwei Stücke pfeifen, eine klassische Komposition und einen Popsong. Es gibt einen Bewertungsbogen auf einem Klemmbrett, darauf steht genau aufgelistet, was ein gutes Pfeifkonzert ausmacht: Hält ein Kandidat die Töne? Erreicht er auch hohe Tonlagen? Atmet er hörbar ins Mikrofon (Punktabzug) oder ist seine Darbietung besonders bewegend (bis zu fünf Bonuspunkte).
Die folgenden zwei Tage werden anstrengend: für die Jury, die jeden Song hören und bewerten muss. Aber auch für das Publikum: Von zehn Uhr morgens bis sieben Uhr abends wird nonstop gepfiffen, es gibt nur kurze Pausen. Die Bühne ist groß wie in einem Stadttheater, 850 Zuschauer passen auf die Ränge, etwa 150 sind gekommen. Auch ein paar Zeitungsfotografen sind da und das Filmteam einer Presseagentur.
Am Abend zuvor fand ein Symposium über die Verbesserung der Pfeifkunst statt, Geert Chatrou wurde auf der Bühne von seinen Fans befragt. Er kokettiert gern mit seiner Ahnungslosigkeit in der Theorie des Pfeifens, aber wer ihm dabei zuhört, wie er die Lippen spitzt und Vivaldis Flötenkonzert in C-Dur pfeift, der staunt, wie ein Mensch ohne Instrument so glockenhelle Töne von sich geben kann.
Wie viele Stunden am Tag man üben müsse, um so gut zu werden, will eine ältere Japanerin wissen. »Ich hasse üben«, antwortet Chatrou, »deshalb mache ich das nie.« Stattdessen pfeife er ständig vor sich hin, sein ganzes Leben lang schon, ohne dabei einem Übungsplan zu folgen. Pop aus dem Radio, Bach, Beethoven, Jazz. Oft merke er es nicht einmal mehr. Das ist also die erste Lektion der Pfeif-WM: Es ist eine Kunst, deren virtuose Beherrschung man herunterspielen kann zu einem spleenigen Hobby.
Später hält Yuki Takeda, ein aufstrebender junger Pfeifer aus Japan, eine flammende Rede, es sei an der Zeit, Pfeifen wieder als die musikalische Kunst anzuerkennen, die es nun mal sei, »das einzige Musikinstrument, das dem Menschen angeboren ist«. Er fordert Komponisten auf, Songs für Pfeifer zu schreiben, ein guter Interpret könne drei Oktaven umfassen, wie eine Flöte. »Nehmt uns ernst, wir haben es verdient.« Es folgt ein Konzert mit Gewinnern aus vergangenen Wettbewerben, dabei tritt eine Pfeifkünstlerin auf, die sich ein Plastikhuhn umgehängt hat und Ukulele spielt. Sie musiziert in Perfektion, nur macht sie dabei eben nicht den Eindruck, als wolle sie besonders ernst genommen werden. Sie möchte einfach nur gut unterhalten.
Der Wettbewerb beginnt mit einer Regelkunde für Publikum und Kandidaten: Eine streng blickende Ansagerin erklärt, dass während der Darbietungen niemand aufstehen dürfe, Pfeifen im Foyer verboten sei, weil es die Kandidaten ablenken könne. Nur im Aufwärmraum dürfen sich die Teilnehmer einpfeifen. Dieser Ort ist eine Zumutung: bis zu vier Pfeifer mit Kopfhörern üben ihre Stücke gleichzeitig, ein dissonantes Chaos in höchster Tonlage.
Als der erste Kandidat, der Japaner Atsushi Tadokoro, mit Smoking und schwarzer Fliege die Bühne betritt, ist es im Saal so leise, dass man das Auspack-Knistern des Hustenbonbons hören kann, das sich ein Zuschauer in den Mund schiebt. Mit der Präzision eines Synthesizers wirbelt Tadokoro durch die Mozart-Arie Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen, trifft den höchsten Ton mit Schweißperlen auf der Stirn, ein Raunen geht durch den Saal. Als zweiten Song hat Tadokoro einen japanischen Popsong gewählt, der klingt wie die Musik eines Computerspiels von Nintendo. Sein Gesichtsausdruck: so ernst, als hielte er eine Trauerrede.
Für eine Weltmeisterschaft ist die Qualität der Beiträge sehr unterschiedlich. Einige Kandidaten sind kaum zu ertragen: Eine Japanerin fügt dem Girl from Ipanema erheblichen Schaden zu, die Jury schaut gequält. Ein älterer Inder führt ein Stück auf, das als Präludium für Tinnitus und Ausparkhilfe durch-gehen könnte.
Doch die meisten Teilnehmer musizieren auf einem Niveau, für das man gerne Eintritt zahlt: Yuki Takeda, der junge Japaner, der am Vorabend das Plädoyer für mehr Akzeptanz des Pfeiferhandwerks vorgetragen hat, tritt mit der Startnummer 7 an, er wagt bei Just The Two Of Us ein erstklassiges Pfeif-Solo. Takeda, Anfang zwanzig, kommt aus Tokio, spricht fünf Sprachen, arbeitet als Unternehmensberater, hat in Amerika und Afrika studiert, trat schon als Kind bei Pfeif-Wettbewerben auf und holte sich den Titel »Teenage Grand Champion« 2010 und 2011. Auf seiner Visitenkarte steht: »Wir haben Lippen, um damit Musik zu machen.« Takeda spielt seinen Ehrgeiz nicht herunter, er will unbedingt gewinnen. Weil er bei seinem Auftritt ein paar Töne nicht trifft, sinkt er im Backstagebereich in sich zusammen, der Blick erstarrt, den Horror vor Augen: Was, wenn er es nicht ins Finale schafft?
Die wenigen Kandidaten aus dem Westen, die sich für die Weltmeisterschaft qualifiziert haben – jeder musste sich mit einer Audioaufnahme seiner Pfeif-Kunst bewerben –, sind chancenlos. Ein Informatiker aus den USA, der mit seinem Vater angereist ist, pfeift so leise, dass man ihn kaum hören kann. Der Vater, ein Mann mit lauter Stimme und Baseballcap, sagt danach: Ich glaube nicht, dass er die Vorrunde übersteht. Sein Sohn steht daneben und murmelt leise etwas von »dabei sein ist alles«. Er spricht so zaghaft, wie er pfeift.
Menschen pfeifen oft nur, wenn sie sich unbeobachtet fühlen, im Auto, unter der Dusche, beim Schlendern durch den Park. Vielleicht liegt es daran, dass man sich fast als Voyeur fühlt, wenn man Leuten beim Pfeifen zuschaut. Vor allem, wenn ihr Auftritt misslingt.
Eine amerikanische Musikstudentin wird während des Wettbewerbs von einem japanischen Fernsehteam begleitet, als Teil der Reportagereihe Warum bist du nach Japan gekommen? Die Sendung filmt Touristen, die nach Japan kommen, um dort Dinge zu tun, die für die meisten Japaner befremdlich wirken: Nackt Snowboard fahren. Einen seltenen Tintenfisch aufspüren. Oder eben auf einer Bühne den amerikanischen Jazz-Klassiker Skylark von Hoagy Carmichael pfeifen. »Kaum zu glauben, dass man dafür um die halbe Welt fliegt«, sagt ein Kameramann, der dann beim Auftritt trotzdem mit den Kopf wippt.
Lange hatte die Welt des wettbewerbsmäßigen Pfeifens ein klares Zentrum: Louisburg, ein 3000-Einwohner-Städtchen im US-Bundesstaat North Carolina. Mehr als vierzig Jahre lang kamen dort einmal pro Jahr die besten Pfeifer zusammen, um sich zu messen. Begonnen hat der Wettbewerb dort als Witz, weil bei einem Folkfestival ein Teilnehmer darauf bestand, seinen Beitrag nicht zu singen, sondern zu pfeifen. Das Publikum war begeistert, im nächsten Jahr gab es eine eigene Bühne für Pfeifkonzerte.
Über die Jahre wurde der Wettbewerb zu einer Großveranstaltung, mit Hunderten Teilnehmern aus verschiedenen Ländern, doch es gewannen meist: Amerikaner. Für Pfeifer aus Asien war die Anreise oft zu teuer, doch wenn es mal ein Pfeifer aus Japan oder China nach Louisburg geschafft hatte, gewann er meist auch einen Preis.
Der Gründer der Pfeif-WM, der Amerikaner Allen de Hart, ist heute eine Art Elder Statesman der Pfeifszene, auf dem Programmheft der Pfeif-WM in Japan ist ein Grußwort von ihm abgedruckt. Im Jahr 2004 haben zwei Filmemacher einen Dokufilm über die Pfeif-WM gedreht, der weltweit auf Festivals gezeigt wurde. Man lernt darin einiges über die Art, wie mit dem Mund Töne erzeugt werden können: Ein Klangforscher skizziert genau, wie durch das Spitzen der Lippen zwischen Gaumen und Mund der Luftwirbel entsteht, dem der Pfiff seinen Ton verdankt. Doch im Wesentlichen zeigt der Film das, was auch die diesjährige Pfeif-WM in Japan so faszinierend macht: den menschlichen Drang, in irgendwas herausragend zu sein, und sei es im Pfeifen von Haydns Trompetenkonzert in Es-Dur.
Für den Pfeif-Wettkampf war der Film ein Wendepunkt: Die internationale Teilnehmerzahl schnellte in die Höhe. »Einigen amerikanischen Top-Pfeifern ist der Ruhm wohl zu Kopf gestiegen«, sagt Allen de Hart, mittlerweile über neunzig Jahre alt, »sie wollten nur noch antreten, wenn sie dafür Geld bekommen.« Teilnehmer aus China oder Japan sahnten derweil einen Preis nach dem anderen ab. In den Kategorien für Kinder und Teenager gingen fast alle Preise nach Asien. Nachwuchs aus dem Westen war nicht in Sicht.
Irgendwann kam die Frage auf: Warum wird die Weltmeisterschaft eigentlich in Amerika ausgetragen, wenn die besten Teilnehmer aus Japan oder China kommen? Die Sponsoren der Weltmeisterschaft, die vierzig Jahre lang Geld für diesen als sehr amerikanisch empfundenen Wettbewerb gegeben haben, sprangen ab. Im Jahr 2013 fand die Weltmeisterschaft zum letzten Mal in North Carolina statt, es war unklar, ob der Wettbewerb weiterbestehen könne. Seit diesem Jahr hat die World Whistlers Convention in Japan einen neuen Austragungsort, dort soll sie alle zwei Jahre stattfinden, auch wenn die Zuschauerzahl in diesem Jahr noch niedrig war. Für Allen de Hart ist der Weggang der Pfeif-WM ein Symbol für Amerikas veränderte Rolle in der Welt: »Wir waren lange Weltspitze, aber irgendwann wurden wir ein bisschen zu selbstverliebt.«
Ende der Vorrunde bei der World Whistlers Convention: Nur ein Amerikaner, der Kameramann Sam Nulton aus New York, zum ersten Mal bei einem Wettbewerb dabei, ist für das Finale qualifiziert. Auch Yuki Takeda, der Jugendchampion, ist im Finale, trotz der schiefen Töne, die vermutlich nur ihm selbst aufgefallen sind.
Als die Ansagerin die Namen der Finalisten verliest, bricht bei einem Namen besonders lauter Jubel aus: Swetha Suresh, Inderin, 24 Jahre alt, mit Hennabemalung auf den Händen und einem starken, klaren Pfiff. Sie hat in Indien ein paar Preise gewonnen und per Crowdfunding Geld für die Teilnahme bei der WM gesammelt.
Die Inder sind bei dieser Pfeif-WM das, was die Isländer bei der Fußball-EM waren. Sympathische Außenseiter, die durch Teamgeist und Überraschungserfolge das Herz des Publikums gewinnen. Noch nie hat jemand aus Indien einen internationalen Titel geholt, dieses Jahr sind aus dem Land zwölf Teilnehmer im Wettbewerb, sie tragen eine Art Uniform, blaue Polohemden, auf dem Rücken ihr Slogan: Pfeif deine Sorgen weg. Nach jedem Beitrag eines Inders jubeln sie so laut, als wäre der Titel sicher.
»Für mich ist Pfeifen ein politisches Statement«, sagt Swetha Suresh, die beste Pfeiferin des Teams. »In Indien ist es für Frauen ein Tabu, auf der Straße zu pfeifen, das machen nur Männer als plumpe Anmache.«
Das Finale ist für den nächsten Tag angesetzt. Zum Warmwerden findet der Wettbewerb der Junioren statt. Ein kleiner japanischer Junge, acht Jahre alt, mit Krawatte und polierten Schuhen, pfeift die Tritsch-Tratsch-Polka von Johann Strauss so leidenschaftlich, dass der Saal tobt. Doch dann kommt Shin Ito, elf Jahre, eine lebende Pikkoloflöte, so exakt wie beim Vorspiel für einen Stammplatz im Orches-ter. Als die Jury den Preis an Ito vergibt, vergräbt der unterlegene Achtjährige sein Gesicht in den Händen und weint. Mehr als eine Stunde lang sitzt er schluchzend auf seinem Platz, bevor er, gestützt von seiner Mutter, aus dem Saal schleicht.
Dann das Finale:
Eine pfeift ein Gitarrensolo.
Ein anderer die Ouvertüre aus Rossinis Wilhelm Tell.
Der Amerikaner geht mit der Ballade Gravity von Sara Bareilles unter, zu langsam, zu leise, zu lahm.
Und immer wieder: Mozarts Rondo alla Turca, düdüdüdüduuuu, nach einigen Stunden hat man als Zuhörer ein taubes Gefühl in den Ohren. Geert Chatrou, der Pfeif-Star, sagt in der Pause: »Langsam kann ich nicht mehr.«
Und mittendrin Hidenobu Nishiyama, der Mann im Papageienkostüm. Als er die Bühne betritt, wirkt die Jury unentschlossen, der große Konflikt des Kunstpfeifens scheint sich an diesem Mann zu entladen: Sind wir ernsthafte Kunst, dann wäre ein Typ in dieser Verkleidung peinlich. Oder gehört zum Pfeifen auch Show? Dann ist der Mann im Kostüm eine willkommene Abwechslung von der verbissenen Perfektion vieler seiner Konkurrenten. Der alte Streit um E-Musik und U-Musik, beim Kunstpfeifen lebt er fort.
Der Papageienmann trifft jeden Ton, sein Ukulele-Spiel: perfekt. Er wird Zweiter in seiner Kategorie.
Platz eins bei den Herren geht an den Smokingträger, der in der Vorrunde so ernst geguckt hat.
Yuki Takeda, der ehemalige Jugendchampion, wird Dritter.
Dann beginnen die Festspiele der Inder: Erster Platz bei den Senioren, erster Platz in der Kategorie Pfeifen mit Instrument, erster Platz bei den Damen für Swetha Suresh, die Frau mit dem Crowdfunding. Stehende Ovationen, Freuden-tränen im Publikum. Einer der indischen Preisträger bricht auf der Bühne fast zusammen vor Freude. Eine Japanerin, die keinen Preis gewonnen hat, muss weinend von der Bühne geführt werden.
Der Amerikaner Sam Nulton, der im Finale ebenfalls gescheitert ist, posiert mit seinem Trostpreis für die Kameras. Vermutlich wird er für den Rest seines Lebens auf Partys davon erzählen, wie er mal beim seltsamsten Wettbewerb seines Lebens auf der Bühne stand. Dass er nichts gewonnen hat: Drauf gepfiffen.
Text: Till Krause
Fotos: Jérémie Souteyrat
Kamera: Ophélie Giomataris
Schnitt/Web-Version: Dorothea Wagner