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    Hotel Heimat

    Wie drei Männer am unwahrscheinlichsten Ort das Leben der Roma revolutionieren.

    Von Hans von der Hagen

    Hisen Gashnjani hat Mühe, die Trümmer richtig zu deuten. Es muss alles so schnell gehen. Nicht anhalten. Nicht aussteigen. Nicht erkannt werden. Wenige Steine sind da nur noch zu sehen auf den Grundstücken in der Mitte von Pomazatin.

    Einige dieser Steine waren einst Teil seines Hauses - eines von vier Häusern hier in diesem Dorf nahe der kosovarischen Hauptstadt Pristina, in denen vor dem Krieg Roma wohnten. Angrenzend: Serben und Albaner. Die einen auf der einen Seite des Ortes, die Albaner auf der anderen. Mitten drin also die Familie von Gashnjani. Sie waren die einzigen Roma in Pomazatin.

    Gashnjani musste noch während des Krieges in den neunziger Jahren fliehen. Er wohnt jetzt nur ein paar Kilometer weiter, und doch ist Pomazatin für ihn unerreichbar. Seine Eltern lebten 40 Jahre da. Aber Roma sind in Pomazatin nicht mehr erwünscht. Seit der Flucht war Hisen vielleicht vier Mal dort. Immer mit dem Auto, nie hielt er an. Auch heute fährt er in seinem alten Chrysler Voyager wieder nur an der Vergangenheit vorbei.

    Noch immer ist da die Furcht, dass jemand “Probleme macht”, weil es irgendjemandem nicht gefällt, dass er als Roma in diesem Ort ist.

    Was für Pomazatin und Kosovo gilt, ist auch weltweit ein Problem: Selten sind Roma willkommen, selbst wenn sie, wie in Kosovo, bereits mehr als 500 Jahren ansässig sind. Oft geschmäht als Menschen ohne Land, als Diebe und als Bettler, gelingt es fast ihnen fast nie, sich in der Gesellschaft und im wirtschaftlichen Leben einen Platz zu erobern. Doch nur ein paar Kilometer von Pomazatin entfernt, in einem kleinen Ort namens Gračanica, ist es anders. Dorthin steuert Gashnjani nun seinen Chrysler und parkt vor einem hellgrauem Bau. Es ist das Hotel Gracanica - und sein neues Leben.

    Seinen Anfang nahm dieses neue Leben knapp 2000 Kilometer nordwestlich in Bern.

    Tausende Kosovaren fliehen während des Krieges in die Schweiz. Darunter sind viele Roma. Nach dem Krieg will Bern sie wieder loswerden. Ob eine Rückkehr zumutbar ist, soll ein Vertreter des Bundes direkt vor Ort klären. Er heißt Andreas Wormser und fliegt 1999 ersten Mal nach Kosovo. Dort stellt er fest: Offiziell herrscht Frieden, aber die Verbrechen des Krieges lassen Serben und Albaner nicht wieder zusammenkommen. Zwischen den Fronten: die Roma. Sie stehen unter Generalverdacht. Sie sollen während des Krieges mit den Serben kollaboriert haben, indem sie etwa die Wohnorte von Albanern verrieten. 2004 regiert wieder der Hass: Der Mob zieht durch das Land. Albaner jagen Serben und Roma. Dörfer werden überrannt. Die Süddeutsche Zeitung titelt damals: “Trümmer einer Illusion”. Die Illusion ist, dass das Zusammenleben der Ethnien funktionieren könnte.

    Von den rund 125.000 Roma, die vor dem Krieg in Kosovo lebten, sind heute nur gut 30.000 da. Der Rest? Lebt irgendwo. Vielleicht in Skopje, vielleicht in Duisburg. Vielleicht in Brüssel. Zwei Drittel ihrer Häuser wurden zerstört - die meisten erst nach dem Krieg.

    Wormser, 58 Jahre alt, sitzt auf der Terrasse des Hotels Gracanica. Er ist jetzt kein Vertreter der Schweiz mehr, sondern Einwohner von Kosovo und Besitzer des Hotels. Neben ihm sitzt seine Frau, sie ist zu Besuch hier. Ein lauer Abend, Wasser läuft aus 120 Meter Tiefe kommend neben dran über ein großes gebogenes Stahlrohr in einen kleinen Graben, an dessen Seiten sich ein Garten in stolzer Gemütlichkeit ausbreitet.

    Wormser raucht Lucky Strike. Die Kellnertasche am Gürtel, die Sandalen an den Füßen, die Kleidung in der Farbe Schlamm - alles an ihm zeugt von einer Unaufgeregtheit, die eher jenen zu eigen ist, deren ganze Leidenschaft nicht zuallererst ihnen selbst gilt.

    Seine Worte setzt Wormser mit Bedacht. Nicht wie einer, der Sorge davor hat, zu offen zu sein, sondern zu ungenau.

    “Der Generalverdacht gegen die Roma ist absurd”, sagt Wormser. In den vier Jahren, in denen er im Namen der Schweiz in Kosovo unterwegs war, habe er nur einen einzigen Fall gehabt, in dem tatsächlich ein Rom mit serbischen Paramilitärs durch die Dörfer gezogen sein soll. Doch die Anschuldigungen sind in den Köpfen zementiert. Bis heute. Darum wissen manche der älteren Roma in der Umgebung von Pristina nicht, wie die nur wenige Kilometer entfernte und mittlerweile weltoffene Hauptstadt heute aussieht. Immer noch trauen sie sich nicht dorthin, weil sie Angst haben, getötet zu werden. Keiner kann sie ihnen ausreden.

    Im Jahr 2001 trifft Wormser den amerikanischen Schriftsteller und früheren Boxer Paul Polansky.

    Zufall ist das nicht: Wann immer es in Kosovo um Roma geht, kommt Polansky ins Spiel. Der Mann verdichtet alle Probleme, mit denen Roma in Osteuropa ringen, auf seine Person. Nicht als Betroffener, sondern als Kämpfender. Der Polansky, sagt Wormser, sei wie ein Pitbull. Beißt sich fest und lässt nicht mehr los, vor allem, wenn es um die Sache der Roma geht.

    So war es in den neunziger Jahren, als Polansky überlebende Roma des tschechischen Konzentrationslager Lety ausfindig machte und ihnen in seinen Büchern zum ersten Mal eine Stimme gab.

    Und so ist bis heute: Mit unerschütterlicher Wut greift er in Büchern, Artikeln und Filmen vor allem die Vereinten Nationen an, weil deren Vertretung in Kosovo UNMIK über Jahre Roma in Lagern auf dem verseuchten Grund einer ehemaligen Bleimine untergebracht hatte. Mehr als 100 Menschen starben an Bleivergiftung. Und eine ganze Generation von Roma, die dort lebte und vergiftet wurde, wird wohl keine Kinder bekommen können.

    Diesen Mann also trifft Wormser. Er erzählt Polansky, dass er Leute suche, die ihn unterstützten. Der Schriftsteller weiß Rat: Er zieht gerade mit zwei Freunden durch die Dörfer. Mit ihnen erforscht er, wie der Krieg die Lage der Roma verändert hat. Es sind Hisen Gashnjani und Atlan Gidžić. Die sprechen Romanes und Englisch, Albanisch und Serbisch. Und sie stellen Wormsers Leben auf den Kopf.

    Zunächst aber endet dessen Auftrag in Kosovo. 2004 soll er zurück nach Bern. Die nächsten fünf Jahre verbringt er im Außenministerium. “Zuletzt war ich dort unterfordert”, sagt Wormser. Außerdem hat er vom Balkan ein Thema mitgebracht, dass ihn nicht mehr loslässt: “Die Diskriminierung der Roma und die wirtschaftliche Not, die daraus zwangsläufig folgt.” Weniger sacht formuliert: Roma zu sein bedeutet in Kosovo: im Schnitt zehn Jahre weniger zu leben. Wormser will zeigen, dass Roma nicht nur die “Magjup” und “Cigani” sind, wie die Albaner und Serben sie nennen, sondern qualifizierte Arbeiten übernehmen können. Und zugleich für die Roma selbst Vorbilder schaffen.

    Er will etwas aufbauen. Nur - was? Und wann? Und wie? Im Land herrscht Chaos.

    Wormser reist in nach Kosovo und trifft dort Gashnjani und Gidžić. Immer wieder. Dann gibt es einen Plan. Ein Hotel in Kosovo soll es sein. Als er seiner Frau von der Idee erzählt, ist sie entsetzt. “Du spinnst”, sagt sie. Ihr Plan für ein gemeinsames Leben gerät durcheinander. Wormser hat zwei Millionen Franken geerbt. Damit kann man doch ganz andere Dinge machen.

    Selbst Gashnjani und Gidžić zweifeln. Gashnjani sagt heute: “Ich weiß nicht, was Andreas in mir und Atlan sah. Wir sind doch keine professionellen Hotelmanager. Vielleicht hat er gedacht: Ok, wir zeigen der Regierung in Kosovo: Ein Schweizer, zwei Roma, Serben und Albaner - das kann funktionieren, die können zusammen ein Geschäft betreiben.”

    Seine Freunde kann Wormser überzeugen, seine Frau nicht. Und die Kollegen in Bern? Wormser kann nur schlecht verbergen, dass er solche Fragen hasst. Scherzt, er habe ein selektives Gedächtnis. Schweigen. Das sei ein längerer Prozess gewesen, sagt er dann. Darum habe das dann die Kollegen nicht mehr überrascht. Aber wechselt da nicht jemand die Seiten? Geht zu denen, die er vorher kontrollierte? Wormser sieht das anders. Für ihn geht es hier wie dort um “Gerechtigkeit”. Ihm reicht dieses eine Wort als Erklärung für alles, was er hier aufgebaut hat. Gerechtigkeit. “Gerechtigkeit für die Roma, um die sich keiner kümmert.”

    Mitunter sagt Wormser aber auch: “Wenn ich gewusst hätte, was alles auf mich zukommt, ich hätte es nicht gemacht.” Er lacht nach diesem Satz stets etwas seltsam und zündet sich anschließend eine Lucky Strike an.

    Der erste Architekt fordert viel und liefert wenig. Schnell ist er auch nicht. Er muss gehen. Der zweite, ein Kosovare, der in der Schweiz aufwuchs und später wieder nach Kosovo ging, fällt Wormser auf, weil er mit einer Mission antritt: Er will in Kosovo mit Mini-Bibliotheken auf Schulhöfen die Lust auf das Buch wecken, weil das Lesen der Schlüssel zu allem sei. Auch zu mehr Gerechtigkeit. Die Offiziellen im Land finden das nicht interessant. Wormser schon. Erst recht aber findet er den Plan für das Hotel spannend: Das Haus soll mit seinen vielen Gängen und den lose verbundenen Gebäudeteilen an ein traditionelles kosovarisches Dorf erinnern.

    Zäh geht alles weiter, denn wer in Kosovo etwas aufbauen will, taucht in eine seltsam viskose und zutiefst korrupte Welt ein: Genehmigungen brauchen ewig. “Und wenn wir einen Handwerker anrufen, erhalten wir meist die Antwort, er komme morgen, oder diese Woche.” Nie gebe es einen festen Termin, und ‘morgen’ könne eben auch bedeuten, dass der Handwerker ein halbes Jahr später eintreffe. “Und wenn sie dann kommen, geschieht dies immer überraschend und ohne Voranmeldung.”

    Dann wieder so eine Sache: Wo sollen eigentlich die Abwässer hin? In Kosovo gibt es keine Kläranlagen. Für sein Hotel muss Wormser erst eine bauen. Er sagt: “Es ist wahrscheinlich die einzige im ganzen Land.”

    Das Hotel ist ein Bau geworden, der sich nahtlos auch in das Stadtbild von Zürich oder Basel einfügen würde. Mit seinen klaren Linien fällt er auf in diesem an Kurven reichen Gračanica. Eröffnet wird das Hotel am 13. April 2013. Ein Jahr später wird es im Kosovo-Pavillon auf der Architektur-Biennale in Venedig gezeigt. Und manche Hotelgäste reisen nun quer durch Europa, um es zu sehen.

    Vor allem aber ist es nun wahrscheinlich das einzige Hotel überhaupt, in dem Roma Chefs sind. Die Aufgabenteilung: Hisen Gashnjani repariert, Atlan Gidžić kümmert sich um Küche und Einkauf - und Wormser um alles. Er ist derjenige, der den Betrieb zusammenhält.  

    Anfangs wollte Wormser nur Roma einstellen, doch seine Partner rieten ihm davon ab: das würde Missgunst wecken. Besser sei es, alle Ethnien im Hotel vertreten zu haben. Trotzdem sind nun die meisten Mitarbeiter Roma. “Einmal habe ich darüber nachgedacht, warum so viele Mitarbeiter nun Roma sind, ob das nur an meinem Beziehungsnetz liegt”, sagt Wormser. Doch er kam zum Schluss, dass die Sprachkenntnisse der Grund seien: Die Serben sprechen kein Albanisch, die Albaner kein Serbisch. Roma hingegen sprechen oft mehrere Sprachen, zuweilen auch Englisch.

    Fünf Einzelzimmer hat nun das Hotel, sieben Doppelzimmer und drei Studios. Viel Weiß, viel Holz. Wormser wohnt auch in einem der Zimmer, mit großer Terrasse. Sein Geschenk an sich selbst: morgens bis zehn Uhr von allen in Ruhe gelassen zu werden.

    Das Hotel ist eine unwirkliche Welt, weil dort nun mit den Mitarbeitern aus allen Ethnien des Landes zusammengeht, was ein paar Meter weiter draußen noch nicht funktioniert. Aber es kostet viel Kraft und Geld, dem Land Normalität abzutrotzen. Bislang: zu viel. Seit sechs Jahren lebt Wormser von der Substanz. Das Erbe ist weg, dafür hat er nun Schulden. Seine Frau sieht er alle sechs Wochen im Kosovo, dazwischen besucht er sie in Münster. “Ich kannte Kosovo ja schon und hatte mit vielen Schwierigkeiten gerechnet. Aber es war dann doch mindestens doppelt so schwierig.” Schiefes Lächeln. Lucky Strike.

    2015 lag die Auslastungsquote bei 19 Prozent. Um über die Runden zu kommen, braucht ein Hotel gewöhnlich 60 bis 70 Prozent. Wormser sagt: “Kosovo ist noch nicht bereit für Touristen.” Es gebe zwar vier Mitarbeiter in einem Ministerium, die sich mit Tourismusförderung beschäftigten - aber das “auf völlig untaugliche Weise”.

    Und weil sein Haus ein paar Kilometer neben der Hauptstadt steht, listen Reiseportale das Hotel nicht unter Pristina auf. Aber es sollte Gračanica sein wegen des nahen serbisch-orthodoxen Klosters aus dem 14. Jahrhundert. Weltkulturerbe. Und nicht zerstört wie sonst so viele Kirchen und Moscheen im Land.

    Oft kann Wormser in Kosovo monatelang keine Kaffeefilter bekommen. Oder Butter. Oder Sahne. Aber 2016 könnte es gelingen mit den Einnahmen zumindest schon mal die laufenden Kosten zu decken. Und wenn er im Sommer genügend Gäste haben wird, könnten ihn die Reserven vielleicht sogar einmal durch den Winter bringen.

    Hisen Gashnjani, Atlan Gidžić und Andreas Wormser haben durch dieses Hotel ein neues Leben gefunden - alle drei sind nun Manager und Unternehmer, genauso, wie sich das Wormser erhofft hatte. Und auch die zwölf Menschen, die jetzt hier ihr Geld verdienen,

    Und doch: Über allem aber schwebt noch Furcht. Gashnjani sagt: “Ich kann mir noch nicht vorstellen, wie wir weitermachen, wenn Andreas irgendwann nicht mehr da sein sollte. Weil er zurückgeht in die Schweiz oder nach Deutschland.” Auch Wormser weiß, dass das nicht funktionieren würde und baut bereits einen Nachfolger auf. Genauer: eine Nachfolgerin. Sie ist noch viel zu jung für den Job. Aber Wormser denkt langfristig und kümmert sich heute schon darum, dass sie eine gute Ausbildung bekommen wird. Darauf braucht in Kosovo kaum jemand hoffen – aber die potenzielle Nachfolgerin dürfte nicht einmal daran denken: Sie ist eine Romni.

    Weiterer Artikel:

    Mad Max in Kosovo - mit guten Ideen Geld verdienen

    Linktipp:

    Blog von Andreas Wormser mit denkwürdigen Geschichten aus Kosovo und dem Hotel.

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